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September 03, 2006

Nicht gerade Hollywood

Für ein studentisches Projekt beschäftige ich mich mit aktuellen Kriegen und niederschwelligen bewaffneten Konflikten - den "neuen Kriegen", im Jargon einiger Wissenschaftler. Ein auf den ersten Blick anschaulicher Weg, sich dem blutigen Thema anzunähern, sind zahllose Filme, die gerade in den letzten Jahren dazu gedreht worden sind: Dokumentationen wie das eindrucksvolle James-Nachtwey-Portrait "War Photographer" oder Spielfilme wie der umstrittene "Welcome to Sarajevo" von Michael Winterbottom. Manchmal glaubt man, es mit schierem Menschenrechts-Kitsch zu tun zu haben, um dann wie im Fall des italienischen Thrillers "Tödliche Reportage" (Il aria Alpi- Il piu crudele dei Giorni, IT 2002) zu erfahren, dass reale Begebenheiten erzählt werden.

Gerade afrikaniche Schauplätze ziehen mehr und mehr in die populäre Fiktion ein - Krimis wie Donna Leons "Blood from a Stone" oder Minette Walters' "The Devil's Feather" zum Beispiel spielen geschickt mit dem grausigen Kontext afrikanischer Bürgerkriege. Es ist nicht ganz leicht, aber man tut gut daran, sich dieser immer auch romantisierenden Fiktionalisierung zu widersetzen. Kindersoldaten, entgrenzte Söldner, natürliche Ressourcen im Tausch gegen Waffen, bewaffneter Terror in einem Umfeld von Hunger und Seuchen - all das gehört an vielen vielen Plätzen auf diesem Globus zur Realität und sogar zu einem Alltag, von dem Leinwand oder Bildschirm in den meisten Fällen wohl nicht mehr als eine Ahnung vermitteln können.

Die Hinschauer

Die Gründung der International Crisis Group (ICG) fand unter dem unmittelbaren Eindruck der Balkankriege in den frühen 90ern und des Genozid in Ruanda statt. Seither hat sich die Nichtstaatliche Organisation, die aus Mitteln überwiegend US-amerikanischer Stiftungen und aus Zuschüssen verschiedener Staaten finanziert wird, zu einem der bestinformierten Thinktanks in der Konfliktforschung gemausert. Hauptsitz der Organisation ist Brüssel, ihre Experten arbeiten aber auch 'vor Ort' in verschiedenen Krisengebieten und bemühen sich um Erkenntnisse aus erster Hand.

ICG rühmt sich, eine Sprache zu sprechen, die auch Politiker verstehen: Jeden Monat erscheint der 12-seitiger Newsletter CrisisWatch, in dem die aktuelle Entwicklung der wichtigsten globalen Konfliktherde beobachtet wird, mit kurzen Einschätzungen und Links zu relevanten Quellen. Die aktuelle Ausgabe vermeldet 'business as usual' an den meisten Fronten, bei einigen Verschärfungen, zum Beispiel in Darfur und Burundi.

April 13, 2006

Ubu President

Wenn man so über den Atlantik schaut und sich dabei der üblichen Medienkanäle bedient, wird immer schwerer verständlich, wie sich George W. Bush mit seiner Junta überhaupt noch an der Macht halten kann - so überwältigend ist mittlerweile die Kritik. Gerade jüngst haben sich eine Reihe hochrangiger Militärs (bzw. Ex-Militärs) in erstaunlicher Offenheit und Bitterkeit gegen den US-Verteidigungsminister in Stellung gebracht. Eine vernichtende Diagnose und zornige Abrechnung mit all jenen, die Bush viel zu lange die Treue gehalten haben, hat die Schriftstellerin Jane Smiley im Blogportal von Ariana Huffington veröffentlicht: Notes for Converts.

February 20, 2006

Kleine Bewegungen auf einem sinkenden Schiff

Francis Fukuyama kehrt den NeoCons den Rücken? Ich glaube nicht, dass ihn mir das sympathischer macht. Jemand, der allen Ernstes das "Ende der Geschichte" verkündet hat, kann nur ein Depp oder ein übler Ideologe sein. Dass er 1997 zusammen mit Dick Cheney, Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz und Jeb Bush ein Manifest mit dem Titel 'The New American Century Project' unterzeichnet hat, war mir bislang entgangen.

(Fukuyamas aktueller Artikel beginnt übrigens mit dem Satz: "As we approach the third anniversary of the onset of the Iraq war, it seems very unlikely that history will judge either the intervention itself or the ideas animating it kindly." Meine Hervorhebung.)

September 18, 2005

Demokratie, alles in allem

Insgesamt scheint es an diesem Wahlabend eine Menge Gewinner gegeben zu haben - fast jeder hat irgendwie das ihm zugewiesene Plätzchen als angemessen akzeptiert, mit Ausnahme der Unionsparteien. Ich versuch mal eine spontane Bewertung des vorläufigen Ergebnisses:

Positiv: Die Union ist nicht zu groß geworden. Sie hat damit ihre Quittung bekommen, nicht nur für eine uninspirierte, konzeptlose Kampagne mit vielen, krassen Fehlern: Erhöhung der Mehrwertsteuer (darüber redet man nicht!), Kirchhof (wenn schon, dann richtig!) - sondern auch für den schalen Nachgeschmack, den die 16 Jahre Kohl, zahllose Affären, unwürdige parteiinterne Intrigen etc hinterlassen haben. Dieser Nachgeschmack hat anscheinend bei längerem Nachdenken dann doch vielen potentiell konservativen (oder sollte ich sagen: reformwilligen?) Wählern das Kreuz ausrutschen lassen.

Negativ: Die Grabenkämpfer der Partei, die Stoibers, Kochs, Merzen und Co werden die Schuld für dieses Debakel mittelfristig komplett auf Angela Merkels Schultern abladen - die zwar ihren Anteil daran hatte, aber doch nicht mehr als alle anderen auch. Damit ist vermutlich eine weitere Chance für eine Erneuerung dieser Partei vertan.

Positiv: Der Aufholerfolg bei der SPD geht überwiegend auf das Konto von Gerhard Schröder und bestätigt und stützt damit den reform-orientierten (lies: rechten?) Flügel der Partei. Das Resultat bestätigt damit auch den unglaublichen politischen Instinkt Schröders, der es wahrscheinlich letztlich darauf abgesehen hatte, eine große Koalition oder doch zumindest eine tragfähigere Konstellation für seine Regierung herbeizuführen.

Negativ: Mittelfristig oder langfristig wird der ideologische Magnetismus, der von der Gysi-Lafontaine-Partei ausgeht, zu einer Erosion der verbliebenen Sozialdemokratie führen. Das wird die Partei weiter schwächen, ihr aber vielleicht auch die Chance geben, sich in der Abgrenzung weiter in Richtung New Labor zu profilieren.

Positiv: Die Liberalen haben Erfolg damit gehabt, Profil statt bloße Werbekampagnen vorzuführen. Man kann nur hoffen, dass sie dieses Profil in der Opposition ohne opportunistische Bindung an eine der großen Parteien weiter entfalten können und damit zur politischen Debattenkultur beitragen.

Positiv: Wir haben jetzt eine echte parlamentarische Linke! So wenig ich den Mief sozialistischer Weltbilder leiden kann - in der Opposition bilden sie ein gutes, sinnvolles Korrektiv zu allzu funktionalistischen, technokratischen Politik-Konzepten. Außerdem ist eine Ausdifferenzierung des politischen Spektrums ganz in Ordnung. Und Gysi und Lafontaine sind nicht die unsympathischsten Vertreter ihrer Sache - trotz der geradezu maßlosen Kampagne, die in den letzten Wochen vor allem gegen Lafontaine gefahren worden ist.

Positiv auch: Die Grünen bleiben uns erhalten. Sollten sie aus der Regierung verschwinden, finden sie vielleicht sogar zu einer dringend notwendigen Erneuerung ihres Programms, statt sich weiterhin hinter der staatstragenden Gallionsfigur Fischer zu verstecken.

Positiv, insgesamt: Das Wahlergebnis überträgt die Verantwortung zwei eher angeschlagenen Volksparteien, die somit nicht einfach selbstgefällig mit bestehenden Rezepten drauflos regieren können. Beide stehen unter einem gewissen Druck, sich neu zu definieren. Das Ergebnis platziert drei sehr unterschiedliche, aber allesamt starke Player in die Opposition, als ein starkes, unorthodoxes Korrektiv. No need for an APO. Die politische Kultur in Deutschland wird daran keinen Schaden nehmen.