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March 07, 2006

Mainzer Vortrag

Bevor Clubvolt sich in den Urlaub nach Peking und Shanghai abgemeldet hat, hatten wir Gelegenheit, uns vor einigermaßen geneigter Zuhörerschaft mit dem Phänomen des Bürgerjournalismus auseinanderzusetzen.

"Wir sind die Medien! Bürger proben den Journalismus" lautete der Titel des Vortrags, eine fröhliche Anspielung nicht nur auf die Titel einschlägiger Texte aus den USA, sondern auch auf Leipziger Montagsdemonstrationen und einen bewährten Klassiker des Deutschunterrichts. Eine dem Anlass angemessene Konnotation, wie wir fanden.

(Und ja, China war wieder großartig.)

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February 23, 2006

Arbeit am Leitbild

Bin ich der einzige, der diesen neuen Medienkodex des Netzwerks Recherche für ein überflüssiges und in Teilen sogar ärgerliches Machwerk hält? Der Regelkatalog ist eine Mischung aus Banalitäten des Typs "Edel sei der Mensch, hilfreich und gut", die darüber hinaus schon an anderen Stellen (zum Beispiel im Pressekodex) festgehalten sind, und fragwürdigen Glaubenssätzen.

Das fängt schon mit der Präambel an: "Neue Technologien und zunehmender ökonomischer Druck gefährden den Journalismus." Welche "neuen Technologien" sind denn hier gemeint? Doch nicht etwa das Internet? Da uns keine weitere Begründung geliefert wird, dürfen wir wohl davon ausgehen, dass hier Old-School-Ängste transportiert werden, wie sie neue Medienentwicklungen immer begleiten. Ein normativer Anspruch lässt sich aus sowas kaum ableiten.

Dann die Regel 5: "Journalisten machen keine PR." Man muss genau hinschauen. Es heißt hier nicht: "Journalisten machen keine versteckte PR". Es heißt auch nicht: "Journalismus und PR sind sorgfältig zu unterscheiden." Nein, hier wird ein Sündenfall definiert: Ein Journalist, eine Journalistin, die sich dazu hinreißen lassen, auch einmal einen PR-Auftrag zu übernehmen, verwirken damit das Anrecht, sich Journalisten zu nennen - auch dann, wenn sie sich in ihrer journalistischen Arbeit vollständig an die Regeln halten und alle notwendige Sorgfalt zur Anwendung bringen.

Da kann man wirklich nur fragen: In welcher Welt lebt ihr eigentlich in eurem Netzwerk? Kennt ihr nur eure finanziell gut gepolsterten SWR- oder SZ-Redaktionsstuben? Wisst ihr überhaupt, wie die Arbeitsbedingungen für freie Kollegen aussehen? Was für ein Privileg es ist, wirklich journalistisch arbeiten zu dürfen? Ein Privileg, das man sich angesichts katastrophaler Zeilenhonorare in den meisten Fällen querfinanzieren muss?

Aber darum geht es noch nicht einmal. Selbst in einer besseren möglichen Welt, in der journalistische Arbeit angemessen bezahlt würde, spricht meines Erachtens nichts dagegen, beides zu machen: Journalismus und PR - solange man die Tätigkeiten sorgfältig auseinander hält und in beiden Fällen die Qualitätsstandards seines Aufgabenfelds beachtet. Das ist sicher nicht immer einfach. Aber es wäre hilfreicher, wenn man darüber offen miteinander reden würde, statt pauschal alle Journalisten, die auch PR betreiben, zu verurteilen.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich bin Verfechter eines strengen Trennungsgebots zwischen Werbung und redaktionellem Inhalt. Ich bin außerdem der Meinung, es sollte bei deutschen Medien viel mehr redaktionelle Kodizes geben, die die Maßstäbe explizit machen, an die man sich zu halten verspricht. Eine platte Regel wie "Journalisten machen keine PR" halte ich dabei aber nicht für hilfreich.

Problematisch finde ich auch Regel 7: "Journalisten unterscheiden erkennbar zwischen Fakten und Meinungen". Diese Regel erlegt dem Journalismus eine viel zu rigide Form auf. Wo bitte, außer vielleicht im starren Korsett einer altmodischen Tageszeitung lässt sich dieses Prinzip wirklich aufrechterhalten? Es ist schon im Grundsatz fragwürdig: Die Darlegung von Fakten ist nie frei von Meinung. Kommunikation ist immer selektiv und perspektivisch. Und wenn ich Meinung kundgebe, dann gewinnt diese an Gewicht, wenn ich sie mit Fakten hinterlege. Der reale Journalismus hat sich daher auch nie wirklich um diesen Blödsinn geschert. Viele exzellente Reportagen, ganze Hochqualitätsmedien wie der Economist leben von der Vermischung von Bericht und Position.

Natürlich ist etwas dran: In den meisten Fällen sollte der Journalist sich selbst zurücknehmen, statt dessen andere relevante Sichten auf ein Thema identifizieren und zu Wort kommen lassen. (Eine Aufgabe, die gerade älteren Kollegen zunehmend schwerer zu fallen scheint - man denke etwa an Peter Scholl-Latour...). Aber das ist eher eine Optimierungsaufgabe, und je nach Format und Kontext kann der eigene Anteil eine ganz unterschiedliche Rolle spielen. Eine pauschale Trennung von Fakten und Meinungen ist nicht aufrechtzuerhalten und ist auch gar nicht wünschenswert. Viele sehr lebendige journalistische Formen leben von einer Mischung aus Information und Subjektivität.

Also, liebe Netzwerker: Ihr würdet dem deutschen Journalismus einen größeren Gefallen tun, wenn ihr eure Erfahrung für die differenzierte Beurteilung konkreter Einzelfälle zur Verfügung stelltet. Zum Beispiel mit der Einrichtung eines weiteren Watchblogs à la BildBlog. Stichwort: "neue Technologien" - die können durchaus segensreich sein, wie ihr ja selbst in diesem Fall anerkennt. Da könnte man dann im Einzelfall und ganz konkret sehen, was immer wieder schiefgeht im Journalismus. Gerne auch am Beispiel von Online-Publikationen. (Obwohl ich glaube, dass die konventionellen Medien genug Angriffsfläche bieten.)

Disclaimer: Ich unterrichte an einem Studiengang, bei dem sowohl Journalismus als auch PR auf dem Lehrplan stehen. Wir geben uns große Mühe, unseren Studenten den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen deutlich zu machen.

February 17, 2006

Krauts und Rüben

Der Economist ist sicher eines der wenigen globalen Leitmedien. Regelmäßig gibt es darin sogenannte "Surveys", gründlich recherchierte Dossiers zu einzelnen Ländern und Themen. Die sind meist sehr lesenswert und deshalb praktisch das einzige Sammelobjekt, das ich mir über mehrere Umzüge hinweg leiste.

Wenn der Economist sich des Themas Deutschland annimmt, kann es vorkommen, dass SPIEGEL ONLINE oder Handelsblatt den Analysen des britischen Vorbilds längere Artikel widmen. Der aktuelle Deutschland-Survey scheint mir jedoch solche Aufmerksamkeit nicht wirklich verdient zu haben. Geschrieben hat ihn Ludwig Siegele, früher einmal freier Autor für die ZEIT, dann Silicon Valley-Korrespondent für das britische Magazin. Warum man ausgerechnet ihn, den Deutschen, dann im Herbst 2003 als politischen Korrespondenten nach Berlin versetzt hat, ist mir ein Rätsel. Die Deutschland-Berichterstattung lässt jedenfalls zu wünschen übrig. Es fehlt in Siegeles Berichten die originelle Außenperspektive auf das Geschehen hierzulande, und es fehlt, scheint mir zumindest, auch an dem politischem und wirtschaftlichem Know-How, das eine wirklich exzellente Analyse erst möglich macht. Die regulären Deutschland-Berichte des Economist gehen praktisch nie über das hinaus, was man in hiesigen Medien schon mehrfach gelesen, gesehen oder gehört hat.

Für den Survey im Economist der letzten Woche hat sich Siegele natürlich mehr Mühe gegeben, aber auch dieser Text bleibt merkwürdig unbefriedigend. Er klingt, als wolle hier ein Insider einem völllig ahnungslosen Fremden unser Land erklären. Und genau das ist untypisch, zumindest für das, was man von den besseren Teilen des Economist gewohnt ist. Dort wird für gewöhnlich Position bezogen und auf hohem Niveau argumentiert, mit teilweise durchaus riskanten und diskussionswürdigen Thesen. Nichts davon in Siegeles Text. Darin steht natürlich auch nichts grundsätzlich Falsches. Aber er hinterlässt den Leser mit einem ratlosen Achselzucken, bleibt in seiner kritischen Bewertung diffus wie einer dieser unsäglichen SPIEGEL-Titel (allerdings ohne deren arrogante und besserwisserische Attitüde). Schade: diese Lektüre kann man sich sparen.

February 15, 2006

Vernachlässigte Themen 2005

Die Initiative Nachrichtenaufklärung hat ihre aktuellen Top Ten der vernachlässigten Themen für das Jahr 2005 vorgelegt. Insgesamt fällt auf, dass das Niveau dieser Aktion sich in den letzten Jahren deutlich verbessert hat. Vor einigen Jahren hatte ich einmal die Jury unter Protest verlassen, weil ich sowohl das Auswahlverfahren als auch die dabei herausgekommene Vorauswahl für nicht akzeptabel hielt.

Mittlerweile hat sich unter anderem meine geschätzte Kollegin Christiane Schulzki-Haddouti der Sache angenommen, die Vorschläge werden in Uni-Seminaren gründlich recherchiert, ihre tatsächliche Medienresonanz wird überprüft, Experten werden zur Relevanz befragt. So kommt eine Auswahl zustande, die interessant und substantiell ist. Ob allerdings der medienkritische Tenor, hier handele es sich um gewissermaßen 'verdrängte' Themen, aufrechtzuerhalten ist, halte ich weiterhin für fraglich.

Außerdem sollte die Initiative ihren Website überarbeiten. Mit dieser vorsintflutlichen Framelösung kann man nämlich keinen Deep Link auf die aktuellen Resultate setzen. Und das würde man doch gerne tun, denn dort befinden sich die lesenswerten Expertisen zu den einzelnen Themen.